Der ursprüngliche Anlass für den Besuch in Wetzlar war eine Fotoausstellung in der Galerie am Dom. Doch die Stadt entfaltete schnell ihren eigenen Reiz: Zwischen historischem Zentrum, bedeutender Fotokunst und Goethes Spuren entwickelte sich der geplante Kurztrip zu einem eindrucksvoll gefüllten Tag. Wetzlar ist ideal, um in Ruhe und mit Fokus auf Geschichte und Kultur zu Fuß erkundet zu werden.
Der Wetzlarer Dom: Ein Symbol der Koexistenz
Mein Rundgang begann am Wetzlarer Dom, dessen Bau im 12. Jahrhundert begonnen wurde. Dieses Bauwerk ist in seiner Funktion einzigartig: Es ist eine sogenannte Simultankirche, die seit der Reformation von Katholiken und Protestanten gemeinsam genutzt wird – eine in Deutschland seltene Form religiöser Toleranz.
Die Architektur vereint harmonisch romanische und gotische Elemente. Besonders markant ist die unvollendete Westfassade mit ihrem fehlenden Südturm – ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, dass große Bauprojekte nicht immer wie geplant vollendet wurden. Der Bau kam im 16. Jahrhundert zum Erliegen, als Wetzlar seine Bedeutung als Reichsstadt verlor.
Ein Blick ins Innere lohnt sich besonders wegen der kunstvollen barocken Totenkopf-Reliefs, die an die Vergänglichkeit mahnen, sowie wegen der mittelalterlichen Wandmalereien.
Galerie am Dom: „Vier starke Frauen – 100 Jahre Leica“
Unweit des Doms zeigte die Galerie am Dom die Ausstellung „Vier starke Frauen – 100 Jahre Leica – Zeugin eines Jahrhunderts“. Die Schau präsentierte eindrucksvoll die Bandbreite weiblicher Perspektiven in der zeitgenössischen Fotografie:
- Herlinde Koelbl dokumentierte in Spuren der Macht – Angela Merkel politische Nähe und Veränderung über viele Jahre hinweg.
- Donata Wenders hielt in Reading Time intensive Momente der Konzentration am Filmset fest.
- Vera Mercer zeigte opulente Stillleben, die an flämische Barockmalerei erinnern.
- Henrike Stahl präsentierte unter Tausend Möglichkeiten der Realität experimentelle Kompositionen.
Die Aufteilung der Werke auf zwei gegenüberliegende Fachwerkhäuser verstärkte den Charme der Präsentation. Die Ausstellung war künstlerisch und historisch äußerst sehenswert und würdigte zugleich Wetzlars Tradition als Optikstadt – hier wurde 1914 die erste Leica-Kamera entwickelt.
Historischer Rundgang durch die Altstadt
Nach der Kunst lud die gut erhaltene Altstadt zu einem Spaziergang ein.
Lottehaus: Hier lebte Charlotte Buff (1753-1828), deren Beziehung zu Johann Wolfgang von Goethe die Vorlage für seinen Briefroman Die Leiden des jungen Werthers lieferte. Goethe hatte sich 1772 während seines Praktikums am Reichskammergericht in Wetzlar hoffnungslos in die bereits verlobte Charlotte verliebt. Im Lottehof war eine zusätzliche Freiluftausstellung zu 100 Jahren Leica mit beeindruckenden Fotografien aus aller Welt zu sehen.
Jerusalemhaus: Der Rundgang führte weiter zum ehemaligen Wohnhaus von Karl Wilhelm Jerusalem, einem jungen Legationssekretär, dessen Suizid im Oktober 1772 in Wetzlar Goethe tief bewegte. Jerusalem hatte sich aus unglücklicher Liebe erschossen – ein Ereignis, das direkt in die tragische Handlung des Werther einfloss und den Roman authentisch und erschütternd machte.
Alte Lahnbrücke: Den Abschluss bildete die Alte Lahnbrücke aus dem 13. Jahrhundert, die weite Ausblicke auf die Lahn und die charakteristische Silhouette der Altstadt bietet – ideal für Fotografen und alle, die einen Moment Ruhe suchen.
Fazit
Wetzlar ist ein perfektes Ziel für einen kulturaffinen Tagesausflug. Die Verbindung aus literarischer Geschichte, einzigartiger Architektur und der Tradition als Optik- und Leica-Stadt sorgt für bleibende Eindrücke. Eine Stadt, die man zu Fuß entdecken sollte – mit Zeit für Details, Geschichte und den Blick durch die Kamera.