Zeitreise: Die Grube Messel erzählt intimste Geschichten

Senckenberg Naturkundemuseum, Frankfurt am Main
Senckenberg Naturkundemuseum, Frankfurt am Main

Das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt eröffnet heute die Ausstellung „Ganz schön warm hier! Leben und Sterben in Messel“. Schon der Titel verspricht eine andere Perspektive auf die berühmte Fossiliengrube. Und tatsächlich, hier geht es nicht um trockene Wissenschaft, sondern um Dramen, Zufälle und kleine Wunder aus einem urzeitlichen Regenwald mitten in Hessen

Deutschlands erstes Weltnaturerbe

Die Grube Messel bei Darmstadt ist seit 1995 Deutschlands erstes UNESCO-Weltnaturerbe und das aus gutem Grund. In diesem ehemaligen Maarvulkan-See, der vor 47 Millionen Jahren entstand, haben sich Fossilien in einer Qualität erhalten, die ihresgleichen sucht. Nicht nur die schiere Anzahl und Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenfunde ist bemerkenswert, sondern vor allem ihre einzigartige Konservierung: Vollkörperskelette, Haut- und Fellschatten, feinste Federstrukturen, selbst der Mageninhalt der Tiere blieb bewahrt.

Was die Grube so wertvoll macht: Sie dokumentiert einen ganz besonderen Moment in der Erdgeschichte. Im Eozän, nach dem Aussterben der Dinosaurier, erlebte die Tier- und Pflanzenwelt explosionsartige Veränderungen. Die Säugetiere begannen ihre Erfolgsgeschichte – und Messel gibt uns einen einzigartigen Einblick in diese frühe Evolution. Jahr für Jahr kommen neue Funde hinzu, die unser Bild von dieser Zeit weiter schärfen.

Ein Fotoalbum aus der Urzeit

Geschichten in Stein

Was diese Ausstellung so faszinierend macht: Sie erzählt Geschichten. Da sind zwei Schildkröten, die mitten im Liebesakt für die Ewigkeit erstarrten. Eine Schlange, die eine Echse verschlang – die gerade selbst einen Käfer gefressen hatte. Drei Leben, übereinander geschichtet in einem einzigen Fossil. Kurator Thorolf Müller vergleicht die Sammlung mit einem Fotoalbum, und dieser Vergleich trifft es genau: Jedes Exponat ist eine Momentaufnahme, ein eingefrorener Augenblick aus einer Zeit, als Europa noch tropisch warm war.

Ein detailreiches Miniatur-Landschaftsmodell erweckt diese Welt zum Leben: Fische und Krokodile gleiten durchs Wasser des urzeitlichen Sees, Urpferde stehen am Ufer, Schildkröten sonnen sich, und zwischen Farnen lauern Schlangen. So wird die außergewöhnliche Biodiversität dieses hessischen Regenwalds greifbar.

Momente der Zärtlichkeit

Besonders berührend sind die Zeugnisse von Fürsorge: ein neugeborenes Urpferdchen bei seiner Mutter, verschiedene Tiere mit ihren ungeborenen Jungen im Bauch – ein Urpferd, eine Fledermaus, eine Boa. Leben in seiner verletzlichsten Form, bewahrt über Jahrmillionen.

Zu den spektakulärsten Exponaten gehören die Vogelfunde. Das Fossil des Wasservogels Juncitarsus merkeli zeigt eine Detailtreue, die selbst Fachleute staunen lässt. Nicht minder beeindruckend ist das lebensgroße Modell des Diatryma – ein flugunfähiger Riese von zwei Metern Höhe, der durch die subtropischen Wälder der Urzeit streifte.

Paläontologie als Detektivarbeit

Die Ausstellung scheut auch nicht vor den kurioseren Funden zurück: Da gibt es ein kleines Säugetier, das eine Schlange verschlungen und wieder ausgespuckt hat – sie blieb in „Wurstgestalt“ erhalten. Oder einen fossilen Krokodil-Kot, den man sogar anfassen darf und dessen Inhalt mittels Computertomographie sichtbar gemacht wurde. Solche Details zeigen, wie sehr Paläontologie Detektivarbeit ist.

Im Bereich „Zart und bunt“ wird deutlich, warum Messel so außergewöhnlich ist: Insekten, die noch immer schimmern wie am ersten Tag, die filigranen Haare einer Schlafmaus, die feinen Strukturen von Vogelfedern. Diese bemerkenswerte Erhaltung verdanken wir den besonderen Bedingungen im einstigen Maarvulkan-See, wo sauerstoffarmes Wasser und feine Sedimente die organischen Strukturen konservierten.

Im Treibhaus der Zukunft?

Was die Ausstellung aktuell macht: Das warme, feuchte „Messel-Wetter“ von damals könnte ein Vorgeschmack auf Europas klimatische Zukunft sein. Bohrkerne, Blattfossilien und Filmaufnahmen aus dem Labor zeigen, wie Forschende das damalige Klima rekonstruieren – eine Mahnung, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommt.

Gut zu wissen:

Die Ausstellung läuft bis 30. August 2026 und ist Teil eines ganzen Jubiläumsprogramms: 2025 jährt sich der erste Fossilfund in Messel zum 150. Mal, die Senckenberg-Grabungen zum 50. Mal und die Ernennung zum UNESCO-Weltnaturerbe zum 30. Mal. Wer tiefer einsteigen möchte, findet QR-Codes bei ausgewählten Exponaten, die zu digitalen Geschichten führen – ein Projekt, das auch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt und im Museum an der Grube Messel selbst erlebbar ist.

Für alle, die wie ich fasziniert sind von der Frage, wie das Leben auf der Erde wirklich war – nicht nur als Datensammlung, sondern als gelebte, gefühlte Wirklichkeit – ist diese Ausstellung ein Muss.

„Ganz schön warm hier! Leben und Sterben in Messel“
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
5. Dezember 2025 bis 30. August 2026
Eine Vortragsreihe sowie ein vielfältiges Begleit- und Bildungsprogramm ergänzt die Ausstellung.