Dirk Kurbjuweits Roman Nachbeben war Festivalbuch beim diesjährigen Lesefest „Frankfurt liest ein Buch“. Die Geschichte spielt im Dreieck zwischen Frankfurt, dem Kleinen Feldberg im Taunus und Köln. Im Mittelpunkt steht Lorenz, ein ehrgeiziger Banker, dessen Karriere und Leben sich um eine zufällige Begegnung drehen. Auf dem Kleinen Feldberg wächst er auf, wo sein Nachbar Luis in der Von Reinach’schen Erdbebenwarte seismografische Daten registriert und archiviert.
Wir lagen im Nebel, auch das weiß ich noch. Selbst wenn ich mich nicht so genau erinnern würde, könnte ich mit diesem Satz kaum etwas Falsches behaupten. Wir haben hier zweihundert Nebeltage im Jahr. Die Wolken mögen uns, sie mögen den Kleinen Feldberg im Taunus, sie verweilen gern, bevor sie nach Frankfurt weiterziehen.
Zwischen Luis und Lorenz entsteht eine stille, generationenübergreifende Freundschaft. Als ein Erdbeben das Rheinland erschüttert, nimmt der zufällig anwesende Lorenz einen Notruf entgegen. Dies führt zu einer Begegnung mit Selma, die sein weiteres Leben bestimmt: Er heiratet sie, zieht nach Kronberg und verfolgt ambitionierte Karrierepläne bei der Bundesbank. Doch diese Fassade wird porös. Ein Netz aus Geheimnissen und Fehlentscheidungen durchzieht sein Leben, bis er seinen Job beim Umbau der Bankstrukturen zur Zeit der Euro-Einführung verliert. Der wirtschaftliche und persönliche Zusammenbruch folgen unausweichlich.
Dirk Kurbjuweit erzählt diese Geschichte mit großer Ruhe, unter der sich jedoch kontinuierlich Spannung aufbaut. Die Erzähltechnik gleicht dabei einem Seismografen: Sie erfasst die feinen Brüche in den Biografien der Figuren. Der Kleine Feldberg wird zur Metapher für Beständigkeit und Isolation zugleich, während Frankfurt die Sphäre von Ehrgeiz, Versuchung und wirtschaftlichem Scheitern verkörpert. Der Autor verbindet gesellschaftliche Umbrüche – die Euro-Einführung und wirtschaftliche Krisen – mit den inneren Erschütterungen seiner Figuren auf überzeugende Weise. Ein zentraler Wendepunkt liegt im rätselhaften Tod von Lorenz‘ Eltern Konrad und Charlotte. Dieser Moment markiert für Lorenz eine Rückkehr zu seinen Anfängen: zum Kleinen Feldberg und zu Luis.
Der Autor
Dirk Kurbjuweit wurde 1962 geboren und arbeitet als Journalist und Schriftsteller. Jahrelang war er Redakteur bei Die Zeit, heute ist er für den Spiegel in Berlin tätig. Für seine Reportagen erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Neben seiner journalistischen Arbeit veröffentlichte er mehrere Romane, darunter Die Einsamkeit der Krokodile und Schussangst, beide wurden verfilmt. Kurbjuweit verbrachte Teile seiner Kindheit in der Nähe des Kleinen Feldbergs – dieser Ort mit seiner charakteristischen Atmosphäre aus Nebel, Wind und Abgeschiedenheit prägt die Stimmung von Nachbeben deutlich. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Nachbeben
von Dirk Kurbjuweit. Roman.
220 Seiten. Penguin Verlag, München. 2025
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Die Illustration wurde mit Hilfe der KI Firefly erstellt.