Die Bagage aus dem Bregenzer Wald

Aquarell Buchbesprechung. Grafik: Oili (KI) Adobe Stock

Die österreichische Autorin Monika Helfer geht als Ich-Erzählerin den Spuren ihrer Herkunft nach. Ihr autofiktiver Familienroman mit dem etwas befremdlichen Titel „Die Bagage“ spielt in einem kleinen Dorf im Bregenzer Wald und beleuchtet das karge Leben einer Außenseiterfamilie, die am gesellschaftlichen Rand existiert.

Im Mittelpunkt stehen Maria und Josef Moosbrugger, die Großeltern der Autorin, die mit ihren Kindern auf einem abgelegenen Bauernhof ohne Strom und eigenes Wasser leben. Die Familie ist arm und bei den Dorfbewohnern wenig beliebt. Maria ist eine außergewöhnlich schöne Frau, was bei den Frauen des Dorfes Neid und Misstrauen hervorruft.  Josef ist durch krumme Geschäfte mit dem Bürgermeister verbunden.

Als Josef im Ersten Weltkrieg zum Militärdienst einberufen wird, vertraut er Maria der Obhut des Bürgermeisters an. Auf dem abgelegenen Hof beginnt eine Zeit der Ungewissheit und des Rätselratens. Der Bürgermeister versorgt zwar die Familie mit Lebensmitteln, überschreitet aber Maria gegenüber Grenzen, er belästigt sie. Auf dem Markt begegnet sie einem Reisenden aus Hannover und verliebt sich in ihn. Sie wird schwanger. Die Dorfbewohner spekulieren, wer der Vater des Kindes ist:  der Bürgermeister, der Fremde aus Hannover oder doch ihr Mann Josef, der zweimal auf Fronturlaub war? Der Pfarrer weiß es natürlich auch nicht, ist aber wütend, weil Maria trotz seiner Aufforderung nicht zur Beichte erscheint. In seinen Predigten hetzt er die Dorfbewohner gegen Maria auf und läßt eigenmächtig das Kruzifix vom Haus der Mooslechners entfernen.

Maria bringt das Kind zur Welt, es ist Monika Helfers Großmutter Margarete, genannt Grete. Josef kommt aus dem Krieg zurück, hört die Gerüchte und fühlt sich betrogen. Grete erkennt er nicht als sein Kind an. Ausnahmslos ignoriert er sie, richtet  niemals das Wort an sie und berührt sie nie. Josef geht zum Bürgermeister und stellt ihn zur Rede.

Familienromane gibt es viele, dieser aber ist etwas ganz Besonderes. Ein Buch, das bleibt!
Denis Scheck, ARD druckfrisch, 2020

Auf knapp 160 Seiten erzählt der Roman die Geschichte mehrerer Generationen vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Nicht entlang der Lebenslinie, sondern in Episoden mit Vor- und Rückblendungen verwebt Monika Helfer die Lebens- und Liebesgeschichte ihrer Großeltern Josef und Maria mit der ihrer Eltern, Onkel und Tanten und auch ihrer eigenen. Beim Lesen kam ich nicht umhin, über meine eigene Herkunft, über Zugehörigkeit, Identität und gesellschaftliche Normen nachzudenken. Durch seine emotionale Tiefe und auch die vielschichtige Erzählweise wird dieses Familienporträt lange in Erinnerung bleiben.

Die Autorin
Monika Helfer, geboren 1947 in Au im Bregenzerwald, lebt in Vorarlberg. Sie hat zahlreiche Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, dem Solothurner Literaturpreis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Für ihren Roman „Die Bagage“ (2020) erhielt sie den Schubart-Literaturpreis 2021 der Stadt Aalen. Mit ihren Roman „Vati“ (2021), „Löwenherz“ (2022) setzt sie ihre Familiengeschichte fort.

Monika Helfer: Die Bagage. Verlag dtv, München

Die Bagage
von Monika Helfer. Roman.
159 Seiten. dtv, München. 2021

Ein Gespräch Monika Helfer über ihre Familiengeschichte ist beim Hanser Verlag als Video abrufbar:
>> Monika Helfer im Gespräch