Welche Autorin schafft es, 250 Jahre nach ihrer Geburt noch Leserinnen zu begeistern? Jane Austen ist eine davon. Am 16. Dezember diesen Jahres würde sie 250 Jahre alt werden. Ihren Geburtstag nehme zum Anlass, über meine langjährige Liebe zu ihren Romanen zu schreiben – vor allem zu Emma, einem Lieblingsroman.
Jane Austen bin ich zum ersten Mal in meinen Zwanzigern begegnet, mit Stolz und Vorurteil. Damals dachte ich: nett, aber ein bisschen verstaubt. Jahre später, ich hatte inzwischen ein paar Lebenserfahrungen mehr im Gepäck, griff ich zu Emma und war begeistert. Plötzlich verstand ich, was Austen so genial macht: Sie schreibt über Menschen, die sich selbst nicht durchschauen. Und sie schreibt mit einem ganz besonderen Augenzwinkern.
Emma ist ein Meisterwerk der Weltliteratur, und das liegt vor allem an der Hauptfigur Emma Woodhouse. Zu Beginn des Romans ist sie 21 Jahre alt, gut aussehend, gebildet und wohlhabend. Ihr liebster Zeitvertreib? Menschen zu verkuppeln. Emma ist absolut von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt und manchmal richtig nervtötend. Sie ist maßt sich Urteile an, die ihr nicht zustehen und bringt mit ihrer Einmischung andere Menschen in peinliche Situationen. Und bei alledem ist sie so charmant, dass man sich immer wieder an ihrer Seite wiederfindet. Man möchte sie schütteln – und mag sie doch zu sehr dafür. Das Geniale: Jane Austen erzählt die Geschichte aus Emmas Perspektive, und wir Leserinnen sehen die Welt genauso verzerrt wie Emma selbst. Erst beim zweiten Lesen merkt man, wie viele Hinweise Austen gestreut hat, die Emma (und wir) einfach übersehen haben. Das ist brillant konstruiert.
Was den Roman für mich auch so besonders macht, sind die weiteren Figuren. Jede ist so präzise gezeichnet, dass man sie sofort vor sich sieht: Da ist Emmas Vater Mr. Woodhouse, dieser liebenswerte Hypochonder, der überzeugt ist, dass jeder Luftzug tödlich sein kann und der bei jeder Gelegenheit vor den Gefahren des Lebens warnt. Man möchte ihn in den Arm nehmen und ihm gleichzeitig sagen, dass ein offenes Fenster noch niemanden umgebracht hat. Mrs. Elton, die selbstverliebte Pfarrersfrau, die auf nervtötende Weise ihre vermeintlich vornehmen Verbindungen betont und sich in Emmas Gesellschaft drängt. Sie ist unerträglich und gleichzeitig so treffend gezeichnet, dass man fortan Menschen wie sie sofort wiedererkennt. Und auch Miss Bates, die liebenswerte, geschwätzige Nachbarin, die in endlosen Monologen vom Alltag erzählt. Miss Bates könnte eine Karikatur sein, aber sie ist es nicht. Sie ist eine Frau, die ihre bescheidene Stellung in der Gesellschaft mit Würde und Freundlichkeit trägt. Und wenn Emma sie bei einem Ausflug verletzt – eine der Schlüsselszenen des Romans – tut es uns in der Seele weh.
Meine besondere Zuneigung gilt neben Emma dem stets korrekten Mr. Knightley. Der einzige Mensch, der Emma nie schmeichelt, der ihr die Wahrheit sagt und immer wieder versucht, sie von ihren Irrtümern zu überzeugen – und der seit ihrem 13 Lebensjahr trotz all ihrer Fehler zutiefst liebt. Mr. Knightley ist kein strahlender Held, kein Mr. Darcy in seiner Anfangsarroganz. Knightley ist einfach ein unbestechlicher kluger Mann, der weiß, was richtig ist und der Emma genau das gibt, was sie braucht: ehrliches Feedback und bedingungslose Zuneigung. Wenn er Emma am Ende der Geschichte seine Liebe gesteht, ist das einer der schönsten Momente der Literatur. Nicht dramatisch, nicht pathetisch, einfach nur richtig und schlüssig.
Jane Austen schrieb ihre Romane vor über 200 Jahren, in einer Welt, die uns heute weitgehend fremd ist: Gesellschaftliche Konventionen, arrangierte Ehen, Frauen ohne eigenes Einkommen. Und trotzdem fühlt sich Emma zeitgemäß an. Weil es eben nicht nur um Heirat und Stand geht, sondern um Selbsterkenntnis, um die Frage, wie gut wir uns selbst kennen und wie oft wir uns über andere täuschen. Es geht um die kleinen Grausamkeiten des Alltags und die Kunst, sie wiedergutzumachen. Es geht um Freundschaft, um Loyalität, um die Frage, wie man ein anständiges Leben führt. Jane Austen schreibt mit einem Humor, der nie verletzt, aber alles durchschaut. Sie ist ironisch ohne zynisch zu sein. Sie zeigt menschliche Schwächen ohne ihre Figuren vorzuführen. Und sie tut das mit einer sprachlichen Eleganz, die einen beim Lesen immer wieder innehalten lässt.
Ich kenne Emma inzwischen ziemlich gut, als Buch und als Hörbuch. Die deutsche Hörbuchfassung, gelesen von Eva Mattes, ist ein Geschenk. Eva Mattes liest ironisch-warm, präzise, mit einem leisen Lächeln in der Stimme. Besonders die besorgten Einwände von Mr. Woodhouse und Miss Bates‘ endlose Monologe gewinnen durch ihren Vortrag. Man kann sich vorstellen, wie Austen geschmunzelt haben muss, als sie diese Passagen schrieb.
Ich höre und lese Emma immer wieder und entdecke jedes Mal neue Nuancen. Man sagt, ein gutes Buch erkennt man daran, dass es beim wiederholten Lesen nicht langweilig wird. Stimmt. Emma wird mit jedem Mal besser.
Ich bin so dankbar, dass Jane Austen uns diese wunderbaren Geschichten hinterlassen hat. Wenn Sie Jane Austen noch nicht kennen: Fangen Sie mit Emma an. Ja, die ersten Kapitel brauchen etwas Geduld, denn Jane Austens Welt muss man sich erst erschließen. Aber dann werden Sie belohnt mit einer Geschichte, die klüger, witziger und menschlicher ist als die viele Romane, die heute erscheinen. Und wenn Sie Emma schon kennen: Lesen Sie es noch einmal. Sie werden staunen, wie viel Neues Sie noch entdecken werden.