Almas Sommer

Bergwelt. Foto: wolf36 (KI-generiert) Adobe_Stock
Urlaub in den Bergen. Foto: wolf36 (KI-generiert) Adobe_Stock

Im Juni 1910 verbringen Gustav und Alma Mahler zum dritten Mal in Folge ihre Sommerferien in dem kleinen Ort Toblach in den Südtiroler Dolomiten. Er liebt die Berge, sie nicht. Jeden Morgen vor dem Komponieren unternimmt er lange Spaziergänge, bergauf und bergab. Für sie ist der Aufenthalt auf dem Land eine Zumutung. Sie kann sich weder für die Menschen in Toblach, noch für die Landschaft begeistern. Viel lieber wäre sie wieder inmitten der Wiener Gesellschaft oder wenigstens in New York. Selbst kurze Wanderungen mit ihrem Mann sind ihr ein Graus. Dennoch kommt sie nicht umhin, ihn ab und zu ins Dorfgasthaus zu begleiten.

„Er hatte sie gebeten, doch die Wanderschuhe anzuziehen. Sie hatte nur verächtlich auf die seinen geschaut. Diese klobigen, braunen Ungeheuer. Nein, nein, er mochte allenthalten in seine böhmische Bäuerlichkeit zurückverfallen. Sie war Wienerin. Wiener Blut trug Stöckelschuhe, wenn es zum Abendessen ins beste Haus am Platz ging. Auch wenn das beste Haus nur der Goldene Hirsch, ein ranziges Bauernwirtshaus, war.“

Gustav Mahler hat sich in diesem Sommer vorgenommen, in seinem Komponierhäuschen abseites der Familienunterkunft  am „Lied von der Erde“ und der „Zehnten“ zu arbeiten. Dazu braucht er Stille, absolute Stille, außerdem sein Klavier mit dem Bücherstapel darauf, reichlich Früchtetee, den Duft von Lavendel und unabdingbar auch die muffige Luft in seinem Komponierhäuschen. Während er beschäftigt ist, langweilt Alma sich und wartet sehnsüchtig auf einen Brief von Walther Gropius, mit dem sie seit ihrem Kuraufenthalt im steirischen Tobelbad eine Affäre hat. Als Gustav Mahler seine Post durchsieht, fischt er einen Brief von Gropius an ihn, Herrn Gustav Mahler, hervor. Er liest die ersten Zeilen und erstarrt. Es ist ein Liebesbrief von Walter Gropius an Alma. Gustav Mahler stellt seine Frau zur Rede. Als Walter Gropius kurz darauf nach Toblach kommt, gerät Gustav Mahler in Bedrängnis und Alma muss sich entscheiden.

Alma Mahler ist  in diesem Roman keine Sympathieträgerin,  ihren Egoismus und ihre Launen stellt sie offen zur Schau. Gustav Mahler hingegen wirkt anspruchsvoll und eher introvertiert. Auf der Suche nach künstlerischer Inspiration achtet er  auf sein inneres Gleichgewicht. Trotz der unterschiedlichen Perspektiven konnte ich die beiden Charaktere gut nachvollziehen und verstehen, warum sie so handeln, wie sie es tun. Der Autor beschreibt nicht nur den Sommerurlaub eines besonderen Künstlerpaares. Lenz Koppelstädter hat wahre Begebenheiten aus dem Leben der Mahlers mit fiktiven Elementen vermischt. So entstand eine spannende, teilweise sogar humorvolle Geschichte, die die seelischen Konflikte des Paares nachvollziehbar macht. Ich kann das Buch nur empfehlen!

Der Autor
Lenz Koppelstätter lebt in der Nähe von Bozen. Bekannt wurde er als Autor der Krimireihe um den Südtiroler Polizeikommissar Johann Grauner.  Für Almas Sommer erhielt er ein Recherchestipendium des Landes Südtirol, das ihm ermöglichte, an den Wirkungsstätten der Mahlers im Pustertal, in Wien und New York zu schreiben.

Almas Sommer. Roman von Lenz Koppelstätter. Foto: Rowohlt Verlag

Almas Sommer von Lenz Koppelstätter. Roman.
206 Seiten. Rowohlt Verlag, Hamburg, 2022
Umschlagabbildung: Rowohlt Verlag