Zwischen Blumen und Lastenkran – ein Frauenleben in Ostdeutschland

Schwebende Lasten“ ist der neue Roman von  Annett Gröschner, der aktuellen Mainzer Stadtschreiberin. Sie erzählt darin das Leben von Hanna Krause, einer Blumenbinderin und Kranfahrerin in Magdeburg. Die Geschichte beginnt in den späten 1920er Jahren und erstreckt sich über die Zeit des Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und die DDR-Jahre.

Hanna kennt sich mit Blumen aus und liebt es, sie zu Sträußen und Gestecken zu binden. Als junge Frau ist sie stolze Besitzerin eines Blumenladen im Kattergebirge, dem Armenviertel von Magdeburg. Im Krieg verliert sie viel, nicht nur ihren Laden. Nach Kriegsende arbeitet sie als schlecht bezahlte Putz-, Lager- und Kantinenkraft. Kurz nach dem Aufstand vom 17. Juni beginnt Hanna eine Umschulung zur Kranfahrerin in einem Maschinenbauunternehmen, denn höheren Lohn kann sie nur in einem Männerberuf erreichen.

„In der Nacht bevor Hanna das erste Mal auf den Kran stieg, schlief sie schlecht. Sie hatte Höhenangst, aber das konnte sie nicht zugeben. Sie wollte nicht mimosenhaft sein, auch wenn sie Mimosen mochte. Die Blumen ähnelten ihr, sie waren nur scheinbar empfindlich. Trotzdem zitterten Hanna sämtliche Glieder, als sie die Panzerhalle betrat, in der jetzt Kräne hergestellt wurden und der Brückenkran auf sie wartete.“

Hanna bringt sechs Kinder zur Welt, von denen zwei auf tragische Weise früh sterben. Trotz Zerstörungen, Bedrohungen und persönlicher Verluste sorgt sie ohne je aufzugeben für ihre Kinder und ihren kranken, einbeinigen Ehemann. Beharrlich hält sie an ihrem Lebensmotto „Anständig bleiben“ fest und kämpft unermüdlich gegen Schicksalsschläge und Widrigkeiten. Und immer wieder sind es Blumen, die ihr Trost spenden. Blaustern, Vergissmeinnicht, Pfingstrose – jedes Kapitel des Romans ist einer Blume (manche auch einem kleinen Gartentier) gewidmet und erzählt ein Stück von Hannas Leben. Annett Gröschner fängt mit feinem Gespür ein, wie Blumen für Hanna zum Symbol des Durchhaltens werden.

Der Familienroman schildert ein mutiges, aber alltägliches Leben in Ostdeutschland, das geprägt ist von schweren Lasten und flüchtigen Momenten des Glücks.  Doch „Schwebende Lasten“ ist mehr als eine persönliche Lebensgeschichte. Es ist ein Spiegel der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Magdeburg ist der Schauplatz für Zerstörung und Wiederaufbau, Verlust und Neuanfang. Mit großer Sprachkraft lässt Annett Gröschner, die 1964 in Magdeburg geboren wurde und aufwuchs, Stadt und Bewohner lebendig werden. Hanna wird mir lange in Erinnerung bleiben, weil das Buch nicht nur das bewegende Leben dieser mutigen Frau erzählt, sondern auch  Zeitgeschichte eindrucksvoll einfängt.

„Annett Gröschner erzählt wirklichkeitssatt und unprätentiös von einer Magdeburger Arbeiterin, die trotz aller Widrigkeiten vor allem eines bleiben wollte: anständig.“  [SWR Kultur]

Schwebende Lasten
von Annett Gröschner. Roman.
279 Seiten. Verlag C.H.Beck, München. 2025